Der neuer Markt 2.0 soll zur neuen deutschen Hochtechnologiebörse werden.

Neuer Markt 2.0 – Hirngespinst oder Notwendigkeit? Interview mit Christoph Gerlinger CEO der German Startups Group

Es war im Frühsommer 2013 als sich der damalige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und der Chefredakteur der BILD Kai Diekmann in San Francisco trafen und wie Praktikanten beim Betriebsfest in die Arme fielen. So ganz weit hergeholt scheint mittlerweile der Vergleich nicht, waren doch beide tatsächlich im Auftrag ihrer Unternehmen, Springerverlag und Bundesregierung, im Silicon Valley unterwegs um vom amerikanischen Erfolg im StartUp Bereich zu lernen und zu sehen, was man davon so nach Old Germany exportieren könnte. Während die BILD ihre Aktivitäten nach der Rückkehr Diekmanns immer weiter ins Internet verlegt und auf Bezahldienste setzt, wuchs in Rösler der Wunsch den deutschen Startups unter die Arme zu greifen indem er dem Wagnis Kapital (Venture Capital) die Infrastruktur bereitet.

Der neuer Markt 2.0 soll zur neuen deutschen Hochtechnologiebörse werden.
Der neuer Markt 2.0 soll zur neuen deutschen Hochtechnologiebörse werden.

Zwar beteiligen sich viele Investoren in der Frühphase an Wachstumsfirmen, doch haben die Investoren später ein gewichtiges Problem: Ihnen fehlt schlicht die Ausstiegsmöglichkeit. Solch ein Exit findet idealerweise durch einen Börsengang statt, doch das dafür prädestinierte Segment, der neue Markt wurde vor 10 Jahren nach zahlreichen Skandalen von der Börse geschlossen. Nun also kommt die Überlegung, den neuen Markt wiederzubeleben und so mehr Wagnis Kapitalgeber anzulocken. Denn die Alternative zum neuen Markt, der weniger regulierte Entry Standard, ist längst nicht so attraktiv für Investoren. So wagten im Jahr 2012 gerade mal 3 Unternehmen den Gang an die Börse.

Verbrannte Erde am Neuen Markt

Der neue Markt weckt bei vielen Anlegern allerdings schlechte Erinnerungen. Jede Menge Geld wurde hier in zeitweise betrügerischer Absicht verbrannt und damit jede Menge Anlegervertrauen verspielt. Doch war der damalige „Neuer Markt“ wirklich verantwortlich für das Erschaffen oder Platzen der Blase? Oder war es eher die Gier und die betrügerischen Aktivitäten mancher Vorstände, die dem Neuen Markt letztlich den Garaus machten. Fakt ist, Crowdfunding ist in Deutschland angekommen und das Investieren in StartUps ist in Mode gekommen. Und Fakt ist ebenso, dass deutsche Startups Wachstumskapital brauchen, wollen sie nicht komplett den Anschluß verlieren. Was aber muss der Neue Markt 2.0 besser machen um zur deutschen Nasdaq zu werden? Lohnt sich ein Börsengang überhaupt um eine Finanzierungslücke zu schließen oder ist der Börsengang nur der Startschuß zur Spekulationsblase 2.0?

Darüber sprach ich mit Christoph Gerlinger, CEO des Venture Capital-Anbieters German Startups Group in dessen Portfolio sich bereits über 20 Startups befinden.

Christoph Gerlinger, Vorstand der German Startups Group
Christoph Gerlinger, Vorstand der German Startups Group

Herr Gerlinger, beim Thema Neuer Markt 2.0 denken viele Anleger unweigerlich mit Bauchschmerzen an das Platzen der ersten DotCom Blase zurück. Wie wichtig ist für Sie eine komplette Abgrenzung zu den Bauchplatschern des ehemaligen neuen Marktes oder kann man aus dem Debakel auch Positives für die Zukunft ziehen?

Natürlich sollte man bei der Konzeption einer neuen deutschen Technologiebörse alle Learnings aus den Fehlschlägen des Neuen Marktes beachten insbesondere eine Sanktionierung von Insider Trading und Lock-up Verletzungen vornehmen und eine stärkere Rolle und bessere Qualität von Analysten/Research anstreben und möglichst auch ausgewogenes Verhältnis von etablieren Startups zu jungen Startups ähnlich der Nasdaq, damit mangels Anwendbarkeit von Bewertungsmethoden keine extremen Übertreibungen auftreten. Was viele inzwischen verwechseln – der Neue Markt war ja nicht an „der Blase“ oder ihrem Platzen schuld, die ist an allen Märkten der westlichen Welt aufgetreten und geplatzt. Und die größten absoluten Vermögensvernichtungen haben nicht am Neuen Markt stattgefunden, sondern bei in anderen Börsensegmenten gehandelten Unternehmen wie der deutschen Telekom.

Nach dem Platzen der Internetblase ist die Bereitschaft Venture Capital zur Verfügung zu stellen enorm eingebrochen. Wer finanziert in Deutschland noch StartUPs?

Es gibt da schon eine Szene von Angels, Seed VCs usw., aber gemessen an der Größe der Volkswirtschaft gibt es in Deutschland nachweislich viel zu enig Venture Capital auf der einen Seite und nur schlechten Zugang zu dieser Asset Klasse für interessierte Privatanleger auf der anderen Seite. Mit anderen Worten, beide Seiten finden derzeit nicht zusammen. Dieses Problem wollen wir mit unserer German Startups Group zu lösen helfen.

Wie stehen Ihrer Meinung nach Banken der Gründerszene gegenüber und sind Banken bereit Wagniskapital bereit zu stellen? Wenn nein, worin sehen Sie die Gründe dafür?

Nein, das Chance-/Risikoprofil von Venture Capital, also haftendem Eigenkapital für junge, innovative Unternehmen ist für das Instrument des Bankdarlehens völlig ungeeignet. Solche Risiken kann nur eingehen, wer auch die Chance hat, damit mehrere Hundert oder gar Tausend Prozent Return zu erwirtschaften. Für eine auf 8 oder auch 12% Zins beschränkte Upside ist das viel zu riskant. Außerdem passt das nicht zu den Regulierungsregeln, denen Banken unterworfen sind. Es ist ihnen daraus kein Vorwurf zu machen.

Könnten große Kapitalgesellschaften, wie z.B. Versicherungen die Finanzierungslücke, die die Banken hinterlassen, schließen?

Ja alle Kapitalsammelstellen, also Fonds, Lebensversicherungen usw. sollten im Rahmen einer diversifizierten Anlagestrategie im eigen Interesse eines effizienten, renditestarken Portfolios auch in alternative Investments investieren, darunter auch in Venture Capital. Das Problem ist, dass sich deutsche Versicherungen ja nur in äußerst geringem Umfang trauen, selbst in die Aktien großer DAX-Werte zu investieren. Daran sind aber wohl nicht die Versicherungen schuld, sondern die Versicherten. Viele deutsche Anleger investieren im Moment lieber in hochriskante Mittelstandsanleihen, die ihnen im besten Fall den Zins von meist unter 10% bringen, als in die Aktien des gleichen Unternehmens, die um mehrere Hundert Prozent steigen können. Aus Angst vor der Unsicherheit der Zukunft greifen sie nach jedem Strohhalm, sogar wenn es nur die Scheinsicherheit einer beliebigen Zinsprozentzahl ist.

2012 betrug das in Europa investierte Venture Kapital knapp 3 Milliarden Euro in den USA hingegen 21 Milliarden. Wie erklären Sie sich diesen „Kulturunterschied“?

Ganz einfach – die Amerikaner verstehen, dass zusätzliches Risiko zusätzliche Rendite bringt. Hierzulande verzichtet man lieber darauf, wenn man das Risiko vermeiden kann. Es wird nicht verstanden, das selbst Anleihen der öffentlichen Hand und sogar Kontoguthaben bei Banken erhebliche Risiken verkörpern und keineswegs sicher sind. Am Finanzmarkt gibt es absolute Sicherheit ebenso wenig wie im Leben allgemein.

Wie groß ist der Finanzierungsbedarf für ein durchschnittliches StartUP und steht dieser Finanzbedarf nicht im krassen Gegensatz zu den doch hohen Regulatorien der Börsen. Lohnt sich ein Börsengang also für die meisten StartUPs überhaupt?

Natürlich lohnt ein Börsengang nur, wenn das Unternehmen einen größeren Kapitalbedarf hat und an der Börse aufgrund seines Produkts, Geschäftsmodells, Teams oder seiner Erfolge auch eine Bewertung erwarten kann, die die daraus resultierenden Kosten um ein Vielfaches übersteigt. Im Segment „Entry Standard“ bspw. sind die Regularien gar nicht so hoch. Allerdings ist es nicht auf Technologieunternehmen fokussiert, sondern ein riesiger Gemischtwarenladen. Deshalb plädiere ich sehr für die Schaffung eines neuen Hochtechnologie-Börsensegments (siehe unsere Facebook-Fansite: „wir brauchen eine neue deutsche Hochtechnologiebörse„). Ein Börsengang hat neben der Finanzierungsfunktion auch andere Vorteile – Bekanntheit, ständiger Kapitalzugang, Mitarbeiterincentivierung durch Optionen, Atomisierung des Anteilsbesitzes also Unabhängigkeit des Vorstands, verfügen über eine eigene Akquisitionswährung in Form eigener Aktien, um nur ein paar zu nennen. Ich habe selbst zwei von mir geführte Unternehmen an die Börse gebracht und es nicht bereut – es hat Wert, Wachstum und Arbeitsplätze geschaffen.

Die Mehrzahl der Börsengänge im Internetbereich, wie zum Beispiel Google, Amazon, facebook oder demnächst twitter stammen aus den Vereinigten Staaten. Sind die USA den Europäern und speziell den Deutschen im Bezug auf Neugründungen nicht Lichtjahre voraus und sehen Sie eine realistische Chance diese Lücke zumindest zu verringern?

Nein, es gibt tolle und sehr erfolgreiche Neugründungen in Deutschland, nur gelangen sie nicht so leicht an die Börse, weil es auch wenig attraktiv für sie ist, da ein geeignetes Börsensegment für Technologieunternehmen mit passenden Anlegern fehlt.

Einer der ersten Börsengänge – so wird gerade spekuliert – könnte Zalando sein. Hinter dem Unternehmen stand mit Rocket Internet ein Inkubator der Samwer Brüder, die in der Gründerszene durchaus auch kritisch gesehen werden. Da scheint mir doch noch viel Skepsis im Markt zu sein.

Natürlich kenne ich die kritischen Stimmen zur Arbeit der Samwer-Brüder, teile sie aber nicht. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Ich glaube, ein Teil der Kritik ist dem Neid geschuldet. Finde das ganze Samwer Bashing deshalb ziemlich uncool. Oliver, Marc und Alexander haben große Unternehmenswerte und übrigens auch Tausende Arbeitsplätze geschaffen. Investments in Unternehmen aus der Rocket-Assembly Line wären interessant für uns. Ein Zalando-IPO könnte für die ganze deutsche Startup-Szene sehr förderlich sein, wenn die Emissionsbanken anders als bei Groupon, Zynga und Facebook den Emissionskurs so festsetzen, dass er einen unmittelbaren, nachhaltigen Kursanstieg zulässt.

Wann sehen wir wieder deutsche Internetfirmen, wie zum Beispiel Zalando, an der Börse?

Ich denke bald, allerdings ohne dass ich nähere Informationen über das von Ihnen gewählte Beispiel hätte.

Vielen Dank für das Interview!
Illustration: boersenblog.biz
Foto: German Startups Group